Vorsitzende Hanni Baur beim Bundesparteitag am 21.1.2018 in Bonn

Hanni Baur

23. Januar 2018

"Erst kommt das Land, dann die Partei", so lautete das Credo von Altkanzler Willy Brandt und getreu diesem Motto stimmten die Delegierten auf dem Bundesparteitag der SPD mit 362 "ja"-Stimmen bei 279 "nein"-Stimmen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Unionsparteien. Mit diesem Votum endete einer der denkwürdigsten Parteitage in der jüngeren Geschichte der SPD. Mit dabei in der Delegiertenformation war Hanni Baur, die langjährige Vorsitzende der SPD Dießen.

"Niemand in der Führungsebene hat uns Delegierte im Vorfeld des Parteitages in der Meinungsbildung beeinflusst, uns wurde lediglich mit auf den Weg gegeben, frei nach unserem Gewissen zu entscheiden.", so Hanni Baur. Und so entschied sie sich nach vielen Reden, unzähligen Argumenten und dem gewissenhaften Abwägen des Für und Wider letztendlich dafür, dem Verhandlungsbeginn zu zustimmen.

Ob, wie von vielen proklamiert, dies tatsächlich eine Entscheidung um die Existenz der SPD gewesen ist, wird sich nie zeigen, denn ob die Partei mit der anderen Entscheidung (langfristig) mehr Stimmen gewonnen oder verloren hätte, wird ein Geheimnis der Geschichte bleiben. Aber eins ist Gewiss: Die Partei hat den richtigen Weg für die Entscheidung gewählt und das letzte Wort ob Regierung oder Opposition (bzw. Neuwahlen) werden am Ende die 440.000 Mitglieder der SPD haben. Anders als bei der Union entscheiden also nicht diejenigen darüber, die einen eigenen Vorteil am Zustandekommen (die Parteiführung) oder am Scheitern (die designierten Nachfolger der Parteiführung) haben, sondern die Basis und kaum ein Entscheidungsweg ist ehrlicher, als dieser.

Mannigfaltig waren die Argumente auf dem Parteitag und sicherlich hätte die SPD das Recht gehabt, die eigenen Interessen ganz nach oben zu heben, denn ein Land ohne Sozialdemokratie mögen sich sogar viele nicht vorstellen, die ihre Unterstützung nicht regelmäßig der SPD zukommen lassen. Und dennoch stehen Projekte für unser Land an, die zwingend die Handschrift der Sozialdemokratie tragen sollte. Mit den auch in eigenen Reihen stark kritisierten Agenda 2010 Reformen war es im besonderen die SPD, die unser Land in die aktuell wirtschaftlich starke Position gebracht hat und wer sonst sollte mehr die Berechtigung haben, denjenigen Menschen in unserem Land ein Stück davon wieder zurück zu geben, die maßgeblich für den zurückliegenden Aufschwung verantwortlich sind. Und das geht eben nur, wenn man regiert. Noch einfacher geht es sogar, wenn man neben einer Kanzlerin Angela Merkel regiert, denn unter keinem anderen Kanzler war es in der neueren Geschichte der Republik einfacher, als Regierungsjuniorpartner den Inhalt der Koalitionspolitik zu bestimmen. Solch eine Gelegenheit muss man nutzen, denn wenn man mit 20 Prozent der Wählerstimmen mehr sozialdemokratische Wirklichkeit schaffen kann, als in vergangenen Zeiten mit 35 Prozent, muss es dem Politiker, dem es um die Menschen und nicht um die Macht geht, zweitrangig sein, ob das richtige Wirken auch zwingend populär ist.

Die Roland-Koch-und-Friedrich-Merz-CDU vor 20 Jahren hätte die Angela-Merkel-CDU der Neuzeit mit ihrem politischen Wirken nicht unwahrscheinlich als "linke Spinner" bezeichnet, aber das rechtfertigt weder, dass die SPD ihre Positionen verlässt, noch dass die SPD zwingend opponieren muss. Für das krampfhafte Schlechtreden auch richtiger Entscheidungen der Regierung a la Oskar Lafontaine sind die Wähler meines Erachtens zu aufgeklärt und auch des sinnlosen Streits zu müde. Und nach dem Motto zu opponieren: "Ihr macht das gut, aber wir würden das besser machen" macht doch auch wenig Sinn, dann kann man es auch gleich selbst gestalten.

Und selbst wenn die SPD mit dieser Entscheidung ihren Weg in die Bedeutungslosigkeit besiegelt haben sollte (woran ich nicht glaube), die Sozialdemokratie lebt mehr denn je und es wird sie immer geben, egal wie das Kind heißt, denn es ist die natürlichste und gerechteste Form des menschlichen Zusammenlebens.

Willi Brandt sagte auch einmal: "Was hilft es Stimmen für die Partei zu gewinnen, wenn es gleichzeitig bedeutet, kein Sozialdemokrat zu sein". Getreu diesem Motto muss es nunmehr heißen: "Was hilft es Stimmen für die Partei zu gewinnen, wenn es gleichzeitig bedeutet, keine Sozialdemokratie mehr zu betreiben".

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